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Kabinenluft im Flugzeug manchmal toxisch

In den meisten Flugzeugen wird die Kabinenluft nahezu unausweichlich mit Pyrolyseprodukten von Schmierstoffen und Maschinenölen kontaminiert…

Als ein Pilot eines Frachtflugzeugs im Anflug auf Leipzig einen intensiven unangenehmen Geruch bemerkt und die Sauerstoffmaske aufzieht, ist er schon nicht mehr in der Lage, den Flieger zu landen. Kognitive Probleme zwingen ihn, den Autopiloten einzuschalten. Sein Kollege hat bereits das Bewusstsein verloren.

Der beschriebene Pilot war das erste FUSE-Opfer, das Dr. Frank Powitz, niedergelassener Pneumologe aus München, behandelt hat. FUSE steht für Fume-and-Smell-Event und klingt harmloser als es ist.

Zum Hintergrund: In den meisten Flugzeugen stammt die Kabinenluft von Zapfluftanlagen an den Triebwerken und wird dort nahezu unausweichlich mit Pyrolyseprodukten von Schmierstoffen und Maschinenölen kontaminiert. „Eine Low-Level-Leakage ist bei praktisch allen Triebwerken technisch vorgesehen“, berichtete Dr. Powitz. Außerdem gibt es nur wenige Flugzeuge, welche die Kabinenluft ohne Zapfluftanlage erzeugen. Stärkere Lecks durch undichte Ventile führen dann zu FUSE, wobei eine Vielzahl von Stoffen in die Kabinenluft gelangt, u.a. potenziell neurotoxische Trikresylphosphate, Organophosphate und andere volatile Komponenten.

Ein Monitoring der Kabinenluft findet nicht statt, „nicht mal eine CO-Messung“, monierte der Kollege. Außerdem vernachlässigen fast alle toxikologischen Studien Wechselwirkungen zwischen den Inhaltsstoffen, obwohl nachgewiesen ist, dass z.B. Organophosphate synergistisch wirken. Dass Crewmitglieder nach FUSE häufig medizinisch untersucht werden müssen, Passagiere dagegen so gut wie nie, deutet darauf hin, dass sich Effekte der ständigen Low-Level-Exposition summieren.

In einem Review (siehe Science of the total environment, online seit 28.6.2021) wird die Inzidenz von FUSE-Zwischenfällen mit 1:10.000 bis 1:1.000 Flügen angegeben. Ausgehend von der Tatsache, dass im Jahr vor Beginn der Coronapandemie weltweit 47 Millionen Flüge stattfanden, ist also von 4.700 bis 47.000 FUSE-Fällen auszugehen. Der deutschen Berufsgenossenschaft (BG) Verkehr wurden 2013 fast 1.000 Fälle gemeldet. Seither sind die Zahlen zurückgegangen. 2019 lagen sie noch bei rund 500.

Das Beschwerdebild nach einer solchen Schadstoffexposition ist äußerst bunt. Am häufigsten berichtet werden neurologische Symptome wie Kognitions- und Koordinationsstörungen, Kopfschmerzen und Parästhesien, daneben gastrointestinale Probleme (Übelkeit, Erbrechen) und Atemwegssymptome mit Dyspnoe, Husten und Belastungsintoleranz bei meist normaler Spirometrie, aber eingeschränkter Diffusionskapazität. Die Spiroergometrie zeigt nach Erfahrung von Dr. Powitz oft ein Plateau beim Sauerstoffpuls bei inadäquat starkem Anstieg der Herzfrequenz und erniedrigtem VO2-Peak. Ausgeprägte Symptome kommen bereits nach einmaliger Exposition vor. Akutsymptome nach FUSE werden in der Regel als Arbeitsunfall anerkannt. Wenn die Symptome länger anhalten, sperrt sich die BG allerdings meist mit Verweis auf Unklarheiten beim Kausalzusammenhang, die weiteren Kosten zu tragen.

„Angesichts der vielen Berichte und der ausgeprägten Beeinträchtigungen der Patienten scheint es fragwürdig, nicht an einen kausalen Link zu glauben“, meinte Dr. Powitz. Nach seiner Erfahrung leiden viele Patienten noch Monate nach dem Akutereignis unter Belastungsintoleranz und neurologischen Problemen. „Das gründlich zu untersuchen, gebietet die Flugsicherheit, aber auch die Verantwortung für die Beschäftigten.“ Wichtig ist ihm festzuhalten, dass es sich bei FUSE-Folgen nicht um eine somatoforme Störung handelt – in der Praxis wird das offenbar gerne als Begründung genutzt, Betroffenen die weitere Diagnostik zu verweigern.

Quelle: Medical Tribune, online seit 18.5.2023