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Weniger Druck bei der Beatmung ist weniger riskant

Bei einer Beatmung während einer Operation kann ein geringerer Beatmungsdruck die Risiken von Kreislaufinstabilitäten minimieren. Was für viele Lungenärzte ein alter Hut sein mag, wurde jetzt in einer großen internationalen Studie, an der 900 Patienten und 30 Zentren in Europa sowie Nord- und Südamerika beteiligt waren, nachgewiesen: Der Beatmungsdruck ist bei der Erklärung der Komplikationen nahezu zu vernachlässigen. Im Gegenteil, weniger „positiv end-expiratorischer Druck“ (PEEP) kann bei Risikopatienten die intraoperativen Komplikationen sogar verringern.

Ein OP-Termin steht an - weltweit für insgesamt 234 Millionen Patienten pro Jahr. Bei schätzungsweise drei Millionen kommt es zu Komplikationen. Über 300.000 versterben im Krankenhaus nach einer Operation. Obwohl die Allgemeinanästhesie ein sehr sicheres Verfahren ist, schätzen viele Patienten diese fast noch risikoreicher als den tatsächlichen Eingriff ein. Der Kontrollverlust, das Ausschalten des Schmerzempfindens und letztendlich auch die künstliche Beatmung sind alles Extremsituationen für den Organismus. Fakt ist: je länger eine Operation dauert, desto größer ist das Risiko für den Patienten.

Gerade Anästhesisten sind permanent damit beschäftigt, möglichst schonende Narkose- und Beatmungstechniken zu entwickeln. „Wir haben festgestellt, dass immer wieder Komplikationen nach einer OP aufgetreten sind, die gar nichts mit dem eigentlichen Eingriff zu tun haben, vielmehr auf die Beatmung während der Operation zurückzuführen sind“, berichtet Dr. Marcelo Gama de Abreu, Professor für Translationale Forschung in der Anästhesiologie und Intensivtherapie am Dresdner Universitätsklinikum. „Bei manchen Patienten verkleinerte sich das Lungenvolumen, es kam zu Wassereinlagerungen, Infektionen oder Gefäße wurden in Mitleidenschaft gezogen.“ Solche Befunde lieferten meist Patienten, deren Narkose länger als zwei Stunden dauerte. Das war die Ausgangssituation.

Was jetzt folgte, war eine große Fleißarbeit. Die Wissenschaftler haben viele OP-Berichte ausgewertet, Patienten nochmals untersucht und Kollegen befragt. Es war zunächst kein Anhaltspunkt ersichtlich, der als Erklärung für dieses Phänomen taugte. Dann kam die Idee: möglicherweise ist der Grund für die postoperativen Komplikationen in der Beatmung selbst zu finden.

Bislang war es der allgemeine Standard, dass Patienten mit einem Druck von etwa drei bis zwölf Zentimeter Wassersäule beatmet wurden. Selbst die Instrumente an den gängigen Beatmungsgeräten lassen kaum einen geringeren Druck zu. Hintergrund und Ziel dieser Technik soll es sein, dass während der gesamten Zeit der Beatmung ein positiver Druck in der Lunge aufrechterhalten wird. Davon hat man sich bislang versprochen, dass Lungenareale physikalisch offen gehalten werden, die Gasaustauschfläche erweitert oder günstigstenfalls konstant gehalten wird, sich das Ventilations-Perfusions-Verhältnis verbessert und letztendlich eine bessere Sauerstoffsättigung im Blut erfolgt. Demgegenüber standen und stehen die Nebenwirkungen, resultierend aus einem erhöhten Druck im Brustkorb (Thorax), kardiozirkulatorische Beeinträchtigungen der Durchblutung und möglicherweise ein schlechterer Gasaustausch in der Lunge. Gerade bei vorbelasteten Patienten mit einer Herzerkrankung, Diabetes, Adipositas oder einem Defekt in der Lunge können die Komplikationen nach der OP gravierend sein.

In den letzten drei Jahren wurden 900 Patienten dahingehend untersucht, wie sie ihre Beatmung während einer Bauchraumoperation verkraftet haben (siehe The Lancet 2014, Band 384, Ausgabe 9942, Seite 495 - 503). An dieser Studie waren 30 Zentren in Europa sowie Nord- und Südamerika beteiligt. 447 Personen wurden mit einem höheren positiv end-expiratorischen Druck beatmet, kurz PEEP (Positive End-expiratory Pressure) und die Vergleichsgruppe, bestehend aus 453 Patienten, mit einem deutlich niedrigerem PEEP. Die „higher PEEP-Group“ wurde mit einem Druck von ca. zwölf Zentimeter Wassersäule beatmet und die „lower PEEP-Group“ mit null bis zwei Zentimeter Wassersäule.

Das Ergebnis überraschte den Leiter des Anästhesie-Teams des Dresdner Uniklinikums, Prof. Dr. Marcelo Gama de Abreu. Sind er und seine Kollegen bislang davon ausgegangen, dass ein höherer Beatmungsdruck während einer Narkose mehr Vorteile sichert als Risiken birgt, so muss die bislang gängige Praxis neu überdacht werden. Es hat sich herausgestellt, dass es zumindest bei Bauchraumoperationen an Patienten ohne Fettleibigkeit oder Lungenschäden gar nicht in erster Linie auf den Beatmungsdruck ankommt. Ein schützender Effekt war nicht erkennbar. Fast das Gegenteil stellte sich heraus. Die Gruppe, welche mit einem niedrigeren Druck beatmet wurde, hatte sogar einen stabileren intraoperativen Kreislauf.

Allerdings ist dies längst noch nicht das Ende der Forschungsarbeit auf diesem Gebiet. In den nächsten Jahren soll untersucht werden, welche Rolle der Beatmungsdruck bei einer Thorax-Operation spielt und in welchem Ausmaß Patienten mit Adipositas von einem niedrigen PEEP profitieren. Beide Forschungsansätze sollen auch wieder an der TU Dresden realisiert werden, wobei Prof. Gama de Abreu als Leiter der internationalen Kooperation bei der Studie an Patienten mit Adipositas fungiert.

Quelle: Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden