Eine Reihe von Bundesländern hat die zur Vorbereitung auf eine mögliche Grippe-Pandemie im Nationalen Pandemieplan beschlossene Bevorratung von antiviralen Medikamenten für 20 Prozent der Bevölkerung bislang nicht erreicht. Eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie unter allen Bundesländern ergab, dass derzeit 7 Bundesländer Arzneimittel eingelagert haben, die nur für 11 bis 14 Prozent ihrer Bevölkerung ausreichen. In 8 Bundesländern reicht der eingelagerte Medikamentenvorrat aus, um im Fall einer Grippe-Pandemie 20 Prozent der Bevölkerung zu versorgen. Als einziges Bundesland hat sich Nordrhein-Westfalen mit einer Versorgungsquote von 30 Prozent an der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientiert. Eine Liste, für wie viel Prozent der Bevölkerung jedes Bundesland derzeit antivirale Medikamente eingelagert hat, finden Sie hier. „Wenn jetzt 7 Bundesländer bei der Einlagerung von antiviralen Medikamenten den vereinbarten Zielwert nicht erreichen, muss die Frage erlaubt sein, wie die betroffene Bevölkerung im Pandemiefall ausreichend mit Medikamenten versorgt werden soll“, so Prof. Dieter Köhler, Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und Chefarzt am Lungenfachkrankenhaus Kloster Grafschaft in Schmallenberg. „Die Höhe der Medikamentenbevorratung liegt letztendlich zwar in der Zuständigkeit der Länder. Dennoch ist es unverständlich und für uns nicht akzeptabel, dass einige Bundesländer die Vorgaben des nationalen Pandemieplans nicht erfüllen. Denn eine Pandemie hält sich nicht an Ländergrenzen.“ Äußerst kritisch ist zudem, dass die bislang bevorrateten antiviralen Mittel nur für die Therapie bereits Erkrankter eingesetzt werden sollen. Die erstversorgenden Ärzte und Helfer will man hingegen ungeschützt an die drohende Grippefront entsenden. In der Fortschreibung des Pandemieplans heißt es ausdrücklich, dass eine Notwendigkeit zur Priorisierung der Verteilung der Arzneimittel an bestimmte Personengruppen nicht gesehen wird. Dabei ist es gerade im Gesundheitswesen unerlässlich, sich vor dem drohenden Supergrippevirus vorbeugend mit antiviralen Mitteln zu schützen. Letztlich sind auch Ärzte nicht vor Krankheit und Tod gefeit, wenn sie ihren wichtigen Dienst am Kranken tun.
Experten empfehlen Bevorratung von 20 Prozent
Im Fall einer Grippe-Pandemie rechnet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit mit Millionen Grippetoten. Um die Bevölkerung in Deutschland bis zur Verfügbarkeit eines Pandemie-Impfstoffes ausreichend schützen zu können, haben die Gesundheitsressorts des Bundes und der Länder beschlossen, antivirale Medikamente einzulagern. „Mit der Produktion von Impfstoffen gegen ein Pandemie-Virus kann erst begonnen werden kann, wenn der Erreger bekannt ist. Die ersten Impfdosen werden deshalb erst etwa 3 bis 5 Monaten später zur Verfügung stehen“, erläutert Köhler. „In der Zwischenzeit brauchen wir antivirale Medikamente, um die Menschen, die sich mit dem Pandemie-Virus infizieren, behandeln zu können.“ Die WHO empfiehlt, antivirale Mittel für 30 Prozent der Bevölkerung einzulagern. Das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin, das in Deutschland das Zentrale Institut der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und –prävention ist, hat gemeinsam mit anderen hochrangigen Experten an der Ausarbeitung des nationalen Pandemieplans mitgewirkt und empfohlen, Medikamente für mindestens 20 Prozent der Bevölkerung zu bevorraten. „An dieser Empfehlung des RKI hat sich nichts geändert“, erklärt Köhler. „Selbst in der aktualisierten Fassung des Nationalen Pandemieplanes vom Mai dieses Jahres steht, dass die Länder antivirale Arzneimittel zu therapeutischen Zwecken bevorraten und sich dabei an den Empfehlungen des RKI orientieren.“
Keine Angaben über möglicherweise zusätzlich verfügbare Arzneimittel
Das baden-württembergische Ministerium für Arbeit und Soziales, das derzeit den Vorsitz in der Gesundheitsministerkonferenz der Länder inne hat, teilte auf Anfrage mit, dass aufgrund veränderter Rahmenbedingungen inzwischen davon ausgegangen werden kann, dass Erkrankte im Pandemiefall eine Therapie mit antiviralen Medikamenten erhalten können. Als Grund wird angegeben, dass zusätzlich zur Bevorratung durch die Länder öffentliche Einrichtungen, wie beispielsweise Kliniken und Energieversorgungsunternehmen, und große Firmen eine Eigenvorsorge aufgebaut hätten. Zudem hätten sich die Produktionskapazitäten bei den Arzneimittelherstellern deutlich ausgeweitet, wodurch mehr Arzneimittel am Markt verfügbar seien. „Wenn dies so ist, sollte das auch mit Zahlen belegt werden“, fordert Köhler. „ Angaben über die zusätzliche Verfügbarkeit von antiviralen Mitteln gibt es aber derzeit nicht.“ Zudem argumentieren die Länder, dass die Versorgung der Bevölkerung mit einem pandemischen Impfstoff höchste Priorität hat. „Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir einen Zeitraum von mehreren Monaten überbrücken müssen, bis ein Impfstoff verfügbar ist. In dieser Zeit müssen genügend Medikamente zur Verfügung stehen, um mit dem Pandemie-Virus infizierte Menschen behandeln zu können. Nach den uns jetzt vorliegenden Zahlen müssen wir davon ausgehen, dass dies in 7 Bundesländern nicht möglich ist.“