Lungenärzte im Netz

Ihre Experten für gesunde Atemwege

Herausgeber:

Veränderte Influenza-Viren können gegen das Grippe-Medikament Tamiflu® unempfindlich werden

Resistenzen gegen bestimmte Grippe-Medikamente werden häufiger. Daher raten Experten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) den Bundesländern, auch eine Bevorratung mit dem Medikament Relenza™ zu erwägen, auf das die Grippeviren noch empfindlich reagieren.

Britische Wissenschaftler haben in einer aktuellen Studie nachgewiesen, dass genetisch veränderte (mutierte) H5N1-Vogelgrippe-Viren, aber auch saisonale Influenza-Viren, gegen das antivirale Medikament Tamiflu® unempfindlich (resistent) sein können. Zugleich blieben die mutierten Erreger auf Relenza™ - ein anderes zur Behandlung von Influenza-Infektionen verfügbares antivirales Arzneimittel - empfindlich. Nach Ansicht der Forscher, deren Ergebnisse jetzt im britischen Fachmagazin Nature veröffentlicht wurden, sollte dies Konsequenzen für die Bevorratung antiviraler Medikamente haben, die weltweit von vielen Ländern zur Vorbereitung auf eine mögliche Grippe-Pandemie vorgenommen wurde. Sie empfehlen, dass es sinnvoll wäre, nicht nur Tamiflu®, sondern auch andere antivirale Medikamente, einschließlich Relenza™, einzulagern. Die größte Gefahr für eine Grippe-Pandemie geht laut Experten derzeit von dem vor allem in Asien grassierenden Vogelgrippe-Virus H5N1 aus.

Keine einseitige Bevorratung antiviraler Medikamente gegen Grippe-Pandemie

In letzter Zeit war bereits beobachtet worden, dass einige mit dem Vogelgrippe-Virus H5N1 infizierte Personen auf eine Behandlung mit Tamiflu® nicht mehr ansprachen. Und in der vergangenen Grippesaison wurden nach Angaben der Europäischen Seuchenbehörde ECDC (European Centre for Desease Prevention and Control) in Norwegen 12 von insgesamt 16 Influenza A-Proben als resistent gegen Tamiflu® registriert. Auch in anderen europäischen Ländern traten Tamiflu®-resistente Influenza A-Viren auf. „Das britische Forscherteam hat mit seiner Studie die bereits beobachteten Resistenzen von Influenza-Viren nun auf der molekularen Ebene nachgewiesen und bestätigt“, erläutert Prof. Dieter Köhler, Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und Leiter des Lungenfachkrankenhauses Kloster Grafschaft in Schmallenberg. Derzeit wird in Deutschland vor allem Tamiflu® eingelagert. Dies hatte eine Umfrage der DGP vom Sommer vergangenen Jahres ergeben. Zudem hatten sieben Bundesländer nicht die von den Gesundheitsministern der Länder vereinbarten und vom Robert Koch-Institut (RKI) empfohlenen Mengen antiviraler Medikamente für mindestens 20 Prozent der Bevölkerung eingelagert. „Angesichts der neuen Studienergebnisse sollte jedes Bundesland jetzt seine Bevorratungsstrategie überprüfen und – falls notwendig – die neuen Erkenntnisse beim Einkauf antiviraler Medikamente berücksichtigen“, fordert Köhler. „Die Risiken für das Auftreten eines Tamiflu®-resistenten Pandemie-Virus haben zugenommen. Darauf müssen wir uns einstellen, um unsere Bevölkerung im Rahmen unserer Möglichkeiten wirksam schützen zu können. Eine zu einseitige wie auch eine zu geringe Bevorratung könnte im Ernstfall katastrophale Folgen haben.“

Mutiertes Schlüsselprotein auf Virushülle Ursache für Resistenz

Die Forscher um Steve Gamblin vom National Institute for Medical Research in London analysierten in ihrer Studie die Struktur und Beschaffenheit eines Schlüsselmoleküls auf der Oberfläche der Influenza-Viren. Dieses Protein, die Neuraminidase, spielt bei der Ausbreitung der Viren im infizierten Organismus eine entscheidende Rolle. Antivirale Medikamente blockieren die Neuraminidase an einer bestimmten Stelle und können damit die Virenvermehrung hemmen. Für ihre Untersuchung verwendeten die Wissenschaftler eine spezielle Methode, die Röntgenstrahlkristallographie. Damit konnten sie genau feststellen, wie sich die Struktur der Neuraminidase bei mutierten Influenza-Viren verändert hat, und bei einigen Viren die mutierte Neuraminidase letztendlich als Ursache für die Resistenz gegen Tamiflu® nachweisen. Relenza™ hingegen konnte trotz der veränderten Neuraminidase die Virusvermehrung weiter hemmen.

Gamblin zufolge ist es unbedingt notwendig, weitere Medikamente zur Behandlung von Influenza-Infektionen zu entwickeln. Langfristig gesehen sei es dann wohl am besten, Influenza-Viren mit Hilfe eines Cocktails aus drei bis vier Medikamenten in die Zange zu nehmen, so der Wissenschaftler. Bei der Bekämpfung von HIV werde ein solcher Medikamentencocktail bereits erfolgreich eingesetzt. Bis dahin aber sollten beide derzeit empfohlenen antiviralen Medikamente eingelagert werden, um gegen mögliche Resistenzen gewappnet und somit einem Pandemie-Virus nicht schutzlos ausgeliefert zu sein.