Immunabwehr auf dem Irrweg

Bei immer mehr Menschen scheint das körpereigene Abwehrsystem auf Abwege zu geraten: Allergien treten nicht nur insgesamt häufiger, sondern – wenn man den einzelnen Patienten betrachtet – auch gegen immer mehr verschiedene Substanzen auf.

Allergische Erkrankungen werden immer verbreiteter. Nicht nur die Zahl der Erkrankten ist in den vergangenen Jahrzehnten beständig gestiegen - in Deutschland gibt es mittlerweile rund 20 Millionen Allergiker! Auch die Zahl der Substanzen, auf die ein einzelner allergisch reagiert, nimmt zu. So leiden Betroffene immer häufiger nicht ausschließlich an Heuschnupfen, sondern an einer ganzen Palette von weiteren Beschwerden wie Asthma, Hautausschlägen und Nahrungsunverträglichkeiten.

Allergiker werden immer jünger
Außerdem werden Allergiker immer jünger. „Heuschnupfen tritt heutzutage auch schon bei Kleinkindern im ersten Lebensjahr auf", bestätigt Dr. Hartwig Lauter, Chefarzt der Allergologischen Abteilung am Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft in Schmallenberg. „Stark im Verdacht steht dabei unsere Ernährungsweise. Tatsache ist, dass sich die Menschen in ihrem Speiseplan nicht mehr nach den Jahreszeiten richten – und das könnte die Entstehung von Allergien begünstigen“, mutmaßt der Experte. Selbst das Stillen könne zuweilen nicht mehr verlässlich und vollständig gegen das Auftreten von Allergien schützen – vielmehr würde es die Entwicklung einer Allergie nur mehr verschieben. Für einen Zusammenhang zwischen Ernährung und Allergien gibt es offenbar noch weitere Hinweise: Viele Reizdarm-Patienten sind zum Beispiel ebenfalls Allergiker. „Offenbar haben Menschen, die bestimmte Nahrungsmittel nicht vertragen, ein anfälligeres Immunsystem", sagt Lauter. Ihnen rät er zu einem Besuch beim Ernährungsexperten oder Allergologen.

Kreuzallergien verselbständigen sich
Auf der Liste der häufigsten Allergene stehen heutzutage gleich neben den verschiedenen Baum- und Gräserpollen einige neue Spitzenanwärter - zum Beispiel Latex, Wespengift und Hausstaubmilben. Zudem haben sich in den vergangenen zehn Jahren die Kreuzallergien regelrecht verselbstständigt. So reagieren nicht nur Pollenallergiker überempfindlich auf bestimmte Nahrungsmittel, die chemisch gesehen mit „ihrem“ Allergen verwandt sind. Auch Hausstaubmilben-Allergiker leiden immer öfter unter allergischen Reaktionen auf Schalentiere. Warum das so ist, weiß die Forschung bisher aber noch nicht.

Therapeutisches Dreieck kann helfen
Gegen juckende Augen und Niesanfälle kann das so genannte "Therapeutische Dreieck" wirksame Hilfe bieten. Dies ist eine Behandlungskombination, die erstmals 1996 in Madrid vorgestellt wurde und aus drei Säulen besteht. Erstens das Meiden der Reizstoffe, insofern dies möglich ist; zweitens das Behandeln der Beschwerden, etwa mit Antihistaminika; und drittens eine so genannte spezifische Immuntherapie (oder Hyposensibilisierung) – darunter versteht man die schrittweise Gewöhnung an das auslösende Allergen, indem man dieses dem Patienten in kleinen, langsam zunehmenden Mengen zuführt. Allerdings sind nicht immer alle drei Teile der Behandlung durchführbar. Zum Beispiel lässt sich einem Kontakt mit Pollen während der betreffenden Pollenflugsaison kaum aus dem Weg gehen. „Die Erfolgsquote der spezifischen Immuntherapie ist andererseits relativ gut und erreicht bis zu 80 Prozent", sagt Lauter. „Grundsätzlich von großer Bedeutung für den Patienten ist aber eine vom Facharzt durchgeführte, sorgfältige Diagnostik, die folgendes umfasst: Einen Hauttest, einen so genannten RAST-Test (Radio-Allergo-Sorben-Test, der die Möglichkeit einer risikolosen Antikörperbestimmung bietet) und diverse Provokationstests (wie zum Beispiel ein Sprühtest, bei dem der Kontakt mit verschiedenen Allergenen imitiert wird, um dasjenige, das die Allergiereaktion auslöst, auszumachen).

Quelle: www.merkur-online.de