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Herzmassage wichtiger als Atemspende

Wenn es darum geht, einen Menschen in Not wieder zu beleben, scheuen sich viele davor, eine Mund-zu-Mund- oder Nase-zu-Mund-Beatmung durchzuführen. Jetzt berichten Wissenschaftler aus Tokio, dass eine ausschließliche Massage des Brustmuskels in vielen Fällen ausreicht und sogar von Vorteil sein kann.

Die Leitlinien für Laien zur Wiederbelebung Dritter (Laienreanimation) aus dem Jahr 2000 hatten noch empfohlen, auf 15 Druckmassage-Kompressionen des Brustkorbs 2 Atemspenden folgen zu lassen. Ende 2005 wurden sie dann von den europäischen und US-amerikanischen Fachgesellschaften dahin gehend geändert, dass die Zahl der Atemspenden im Verhältnis zu den Thoraxkompressionen verringert werden sollte – nun wurde ein Verhältnis von 30 Thoraxkompression zu 2 Atemspenden gefordert. Jetzt kommen Ken Nagao vom Nihon University Surugadai Hospital in Tokio und seine Mitarbeiter in einer Beobachtungsstudie, die sie in der Zeitung The Lancet veröffentlicht haben, zu dem Ergebnis, dass sich ein völliger Verzicht auf Atemspenden bei der Wiederbelebung sogar als vorteilhaft für den Patienten erweisen kann. Die erhobenen Daten weisen darauf hin, dass es zu Gunsten einer ununterbrochenen Druckmassage des Brustkorbs möglicherweise besser wäre, vollständig auf die Mund-zu-Mund- bzw. Nase-zu-Mund-Beatmung zu verzichten.

Für die Untersuchung wurde rückblickend analysiert, wie Laien reagieren, wenn vor ihren Augen eine Person tödlich zusammenbricht. Bei 72 Prozent der über 4.000 aufgetretenen Herzstillstände reagierten die Zeugen gar nicht. In 18 Prozent führten sie die konventionelle Herzmassage (meist nach der alten „15 zu 2-Regel“) durch. 11 Prozent der Laien entschieden sich zu Thoraxkompressionen ohne Atemspende und verdoppelten dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass die Patienten ohne neurologische Spätschäden überlebten. Dabei zeichneten sich die Vorteile der Herzmuskelmassage gegenüber einer konventionellen Wiederbelebung in allen untersuchten Untergruppen ab. Sowohl Patienten mit Atemstillstand, als auch Patienten mit Herzrhythmusstörungen und mit kurzen nicht behandelten Herzstillständen profitierten von einer ausschließlichen Herzdruckmassage im Hinblick auf ihre größere Überlebensrate. So überlebten 6,2 (gegenüber 3,2) Prozent der Patienten mit Atemstillstand ohne neurologische Spätschäden, sowie 19,4 (gegenüber 11,2) Prozent der Patienten mit Herzrhythmusstörungen und 10,1 (gegenüber 5,1) Prozent der Patienten mit kurzen nicht behandelten Herzstillständen, wenn die Wiederbelebung innerhalb von vier Minuten nach dem Herzstillstand begann.

Gordon Ewy von der Universität von Arizona in Tucson hat einen Begleitkommentar zu diesem Untersuchungsergebnis geschrieben und nennt darin einige Gründe, warum seiner Ansicht nach bei der Wiederbelebung durch Laien auf Atemspenden verzichtet werden könne und sollte. Zum einen seien die Überlebenschancen bei kardialen Patienten mit alleinigen Thoraxkompressionen größer als beim Verzicht auf jegliche Maßnahmen. Auch erhöhe sie die Akzeptanz der Laien-Reanimation bei denjenigen, die sich davor scheuen, eine Mund-zu-Mund- oder Nase-zu-Mund-Beatmung durchzuführen. Ein anderer Nachteil der Atemspende sei außerdem, dass sie zu langen Unterbrechungen der Thoraxkompression führe - vor allem, wenn nur ein Laie reanimiert. Auch könne die Atemspende durch die Überdruckbeatmung den Druck innerhalb des Brustkorbs so stark erhöhen, dass der venöse Blutrückfluss zum Thorax behindert werde, was die ohnehin schlechte Durchblutung von Herz und Gehirn weiter einschränke - vor allem, wenn die Atemspenden bei komprimiertem Thorax erfolgen.

Überhaupt ist es nach Ewys Ansicht grundsätzlich unlogisch, bei Herzstillstand zu allererst eine Atemspende durchführen zu wollen, weil Lungenvenen, linkes Herz und das arterielle System noch mit Sauerstoff beladenem Blut gefüllt seien. Zudem hätten einige Patienten mit Herzstillstand anfangs meist sowieso noch eine geringe Atemaktivität, die sich dann oft unter den Thoraxkompressionen wieder bessere. Schließlich wisse man auch aus tierexperimentellen Studien, dass sich die ausschließliche Thoraxkompression als vorteilhaft erwiesen hat. Auch die bisherigen Leitlinien gestehen den Laien zu, während der Herzdruckmassage notfalls auf Atemspenden zu verzichten, da dies immer noch besser ist als gar keine Reanimation. Insbesondere wenn sie sich vor dem Atemspenden scheuen sollten, sei es erlaubt, sich auf Druckmassagen des Brustkorbs zu beschränken. Ohnehin stehe außer Zweifel, dass die Herzdruckmassage bei Herzpatienten die eindeutig wichtigere Maßnahme ist.

Trotzdem fordert auch Ewy, die Herz-Lungen-Wiederbelebung weiterhin zu lehren – insbesondere um für die ebenfalls wichtigen, jedoch weniger häufigen Fälle von Ertrinken und anderen Arten des Atemstillstandes gewappnet zu sein. So ist die Notwendigkeit einer Atemspende bei Ertrunkenen nach wie vor unbestritten. Auch bei Kindern, bei denen das Herz an sich selten für einen Stillstand verantwortlich ist, gebe es am Nutzen einer Atemspende keinerlei Zweifel. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Fachgesellschaften sofort auf die Forderungen Ewys eingehen werden, da eine schnelle Änderung der Leitlinien die Verwirrung in der Bevölkerung erhöhen und die allgemeine Akzeptanz der Laien-Reanimation noch weiter senken würde.

Quelle: The Lancet (2007), Band 369, Seite 920-926. Zusammenfassung (abstract)