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Heimbeatmung verlangsamt das Fortschreiten der neurodegenerativen Erkrankung ALS

Eine nicht-invasive Beatmung kann Symptome des Atemversagens bei Amyotropher Lateralsklerose (ALS) lindern, die Lebensqualität der Patienten verbessern und ihr Überleben verlängern...

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) führt als chronische neurodegenerative Erkrankung innerhalb weniger Jahre zu schwerer Behinderung und Tod. Eine nicht-invasive nächtliche Atemunterstützung (NIMV) kann die Symptome des Atemversagens lindern, die Lebensqualität verbessern und das Überleben verlängern. Eine Studie (siehe Annals of Neurology, online seit 29.1.2024) zeigte nun erstmals, dass die NIMV auch zu einer deutlichen Verlangsamung des motorischen bzw. funktionellen Krankheitsverlaufs führt. Die Optimierung der NIMV mit frühzeitigem Beginn stellt damit einen bedeutenden Fortschritt in der Versorgung Betroffener dar.
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine chronisch degenerative Erkrankung von motorischen Nervenzellen (Motoneuronerkrankung) bei Erwachsenen, meist nach dem 50. Lebensjahr. Es kommt typischerweise zu Muskelschwund und Lähmungserscheinungen (Paresen) von Armen und Beinen sowie Sprech- und Schluckstörungen. Die fortschreitende Beteiligung der Atemmuskulatur kann Atemversagen verursachen. Eine kausale Therapie gibt es bisher leider nicht. Der Krankheitsverlauf kann mit einem neuroprotektiven Medikament, Riluzol, nur verzögert werden, eine Heilung ist bislang nicht möglich. Mit verschiedenen symptomatischen Therapien können die Lebenszeit und -qualität aber positiv beeinflusst werden – dazu zählt auch die nichtinvasive Heimbeatmung (NIMV, nichtinvasive mechanische Ventilation).

Die NIMV unterstützt die Lungenfunktion und verlangsamt deren Abnahme. Sie gilt laut den aktuellen Leitlinien (siehe „AWMF online: Motoneuroerkrankungen“, gültig bis 12.8.2026) als lebensverlängernd, symptomatisch wirksam und daher lebensqualitätsverbessernd. Ihr Effekt auf das motorische bzw. funktionelle Fortschreiten der Erkrankung wurde bisher in Fachkreisen kontrovers diskutiert. Eine neue Studie (siehe Annals of Neurology, online seit 29.1.2024) untersuchte nun retrospektiv in einer großen Kohorte von 448 ALS-Patientinnen und -Patienten des ALS-Zentrums in Turin (Italien), ob die Atemunterstützung auch das Fortschreiten der Erkrankung positiv beeinflussen kann. Als Messgröße diente die Rate des funktionellen Rückgangs basierend auf den nicht-respiratorischen Elementen der sog. ALSFRS-R Skala („Amyotrophic Lateral Sclerosis Functional Rating Scale-Revised“). Dabei werden zwölf einzelne Aspekte erfasst, darunter Schluckfunktion, Armfunktion (Gebrauch von Alltagsgegenständen) und Beinmuskulatur (z.B. Treppensteigen).

Im Ergebnis konnte die Studie erstmals zeigen, dass der Beginn einer NIMV den funktionellen Rückgang erheblich verlangsamt. Der günstige Einfluss der NIMV war besonders deutlich für die nächtliche Atemunterstützung und er war unabhängig von der Krankheitsschwere, dem ALS-Stadium, vom Ort des Krankheitsbeginns (d.h. erstbetroffene Muskelgruppen), von Alter, Geschlecht und dem Vorliegen einer kognitiven Beeinträchtigung.

Nach Ansicht des Autorenteams unterstreichen die Ergebnisse die Bedeutung der rechtzeitigen NIMV-Einleitung für alle ALS-Betroffenen, da ein früher Beginn der NIMV den gesamten Verlauf der ALS erheblich verbesserte. Dies bedeute, dass auch bei ALS-Erkrankten ohne offensichtliche pulmonale Symptome eine regelmäßige Lungendiagnostik erfolgen und bei entsprechenden Befunden eine NIMV begonnen werden sollte. Da bei fehlenden subjektiven Atemproblemen die Therapietreue zur NIMV jedoch nicht immer gegeben sei, sollte die Bedeutung der NIMV hinsichtlich der Verlangsamung des Krankheitsverlaufs mit den Betroffenen genau besprochen werden, um im Verlauf die Befolgung der Therapie mit NIMV abzusichern.

„Die Ergebnisse liefern wertvolle Informationen, um künftig den richtigen Zeitpunkt zur Einleitung der NIMV zu definieren“, so Prof. Dr. med. Tim Hagenacker, Essen, stellvertretender Sprecher der Kommission Motoneuron- und neuromuskuläre Erkrankungen der DGN. „Sie könnten in absehbarer Zeit sogar eine Implikation für eine Leitlinien-Anpassung darstellen, denn bisher wird die NIMV erst als indiziert empfohlen, wenn relativ deutliche Symptome vorliegen wie z.B. typische Beschwerden der chronischen Hypoventilation, erhöhte Kohlendioxid-Blutwerte oder eine Verschlechterung bestimmter Lungenfunktionsparameter. Der Zeitpunkt müsste in Zukunft vorverlegt werden, wenn sich die Studienergebnisse weiter bestätigen.“

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.