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Die Physik der frühgeborenen Lunge

Warum mechanische Beatmung den Lungen von Frühchen schaden kann, haben Physiker:innen und Mediziner:innen der Universität Leipzig in einer interdisziplinären Studie nachgewiesen.

In Deutschland werden rund 10 Prozent aller Kinder vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren und gelten damit als Frühgeborene. Viele dieser Frühchen brauchen aufgrund ihrer unterentwickelten Lunge Atemhilfe. Dabei zeigt sich jedoch im klinischen Alltag, dass gerade eine maschinelle Beatmung die Lunge irreversibel schädigen kann, wobei die genauen Ursachen bisher nicht bekannt sind.

In einer interdisziplinären Studie konnten Physiker:innen und Mediziner:innen der Universität Leipzig zeigen, dass ein erhöhter Druck auf das Lungengewebe wie bei einer maschinellen Beatmung die Gefahr birgt, das Gewebe bereits bei kleinen Luftmengen zu überdehnen und die Funktion der Zellen beim Gasaustausch zu stören (siehe Frontiers in Bioengineering and Biotechnology, online seit 16.9.2022).

Bei der normalen Atmung senkt sich bei jedem Atemzug das Zwerchfell unter der Lunge. Dies führt zu einer Ausdehnung der Lunge im Brustkorb, während in der Lunge ein Unterdruck entsteht. Um diesen Unterdruck auszugleichen, strömt automatisch Luft in die Lunge, und man atmet ein. Im Fall der mechanischen Beatmung wird über einen Tubus Luft in die Lunge gepumpt, und die Lunge dehnt sich aufgrund des erzeugten Überdrucks aus. „Wir gehen davon aus, dass dieser Überdruck eine leichte Kompression des Lungengewebes verursacht, wohingegen bei der normalen Atmung an der Lunge von außen ‚gezogen‘ wird, um die Ausdehnung zu erzeugen“, erklärt Physikerin Prof. Dr. Mareike Zink, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Mandy Laube vom Forschungslabor der Neonatologie der Medizinischen Fakultät die interdisziplinäre Studie zur Physik der frühgeborenen Lunge durchgeführt hat.

„In unseren Experimenten haben wir fetales Lungengewebe unter Zug- und Druckspannung untersucht, um Unterschiede in der Gewebemechanik der frühgeborenen Lunge zu erforschen“, berichtet Mareike Zink. Die Experimente hätten gezeigt, dass sich das Lungengewebe unter Zug, wie es bei der normalen Atmung vorkommt, vollkommen elastisch verformt. Unter Druck jedoch – wie es bei der mechanischen Beatmung auftritt – komme es zu einer viskoelastischen Deformation der Lunge. Das bedeute, dass das Gewebe zwar nach der Deformation in den Ausgangszustand zurückgeht. Auf molekularer Ebene gibt es dennoch bereits strukturelle Änderungen, die auf eine irreversible Gewebeschädigung hindeuten.

„Weiterhin zeigen unsere Ergebnisse, dass die Funktion der Lungenzellen unter Druck gestört ist. Bereits kleine Drücke, wie sie bei der mechanischen Beatmung üblich sind, können dafür sorgen, dass Struktureinheiten an der Zelloberfläche, die zum Beispiel beim Transport von Molekülen und Wasser wichtig sind, ihre Funktion nicht mehr ausüben“, erklärt Mandy Laube.

Das Fazit der beiden Wissenschaftlerinnen: Mechanische Beatmung ist für einige Frühgeborene die einzige Therapie, um das Überleben zu sichern. Dennoch besteht die Gefahr möglicher Folgeschäden aufgrund der veränderten mechanischen Eigenschaften der frühgeborenen Lungen im Vergleich zum Erwachsenen. So sollten zukünftige therapeutische Strategien den Einfluss von physikalischen Kräften auf Gewebe und Zellen berücksichtigen und Druckerhöhungen in der Lunge möglichst geringhalten, um das Risiko von Schäden zu minimieren. „Da auch bei beatmeten Covid-19 Patient:innen beobachtet wurde, dass die maschinelle Beatmung weitere Lungenschäden zur Folge haben könnte, postulieren wir, dass auch hier die geschädigte Lunge durch den Überdruck leichter überdehnt werden kann und Lungenzellen unter erhöhtem Druck schneller die Funktion einstellen oder verändern“, so das Resümee von Mareike Zink.

Quelle: Universitätsklinikum Leipzig