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Bioinformatiker entdecken neue Schwachstelle von SARS-CoV-2

Wenn man ein bestimmtes Enzym (Guanylatkinase) in den Fresszellen ausschaltet, die in den Lungenbläschen für die Abwehr von Fremdstoffen zuständig sind, könnte auch die Vermehrung von SARS-CoV-2 gestoppt werden, ohne die Wirtszelle zu beeinträchtigen. Zumindest funktioniert das im Computermodell.

Die Suche nach wirksamen antiviralen Mitteln gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 läuft auf Hochtouren. Mit einem neuartigen Ansatz haben Tübinger Bioinformatiker nun eine Schwachstelle des Virus entdeckt, die für die Wirkstoffentwicklung genutzt werden könnte (siehe Bioinformatics, Online-Veröffentlichung am 29.12.20). In einem Computermodell identifizierten der DZIF-Wissenschaftler Dr. Andreas Dräger und sein Team ein menschliches Enzym, das für die Vermehrung des Virus entscheidend ist, und versuchten es zu blockieren. „Wenn wir das Enzym – die Guanylatkinase 1 – ausschalteten, wurde die Virusvermehrung gestoppt, ohne die Wirtszelle zu beeinträchtigen“, berichtet Dräger.

Guanylatkinase (GK1) ist auch bei anderen Viruserkrankungen von Bedeutung. Das Enzym, das in den Alveolarmakrophagen vorkommt, die in den Lungenbläschen für die Abwehr von Fremdstoffen zuständig sind, spielt eine wichtige Rolle im Metabolismus der Bausteine von Ribonukleinsäuren (RNA) und ist damit auch maßgeblich am Aufbau viraler RNA - wie auch der von SARS-CoV-2 - beteiligt. „Während die Virusvermehrung ohne GK1 nicht mehr stattfindet, kann die menschliche Zelle auf andere biochemische Stoffwechselwege ausweichen“, erklärt Dräger. Und das ist eine wichtige Voraussetzung, wenn man das Enzym mit einem Wirkstoff hemmen will, ohne dabei nachteilige Nebenwirkungen beim Menschen auszulösen.

Es sind bereits einige Hemmstoffe des Enzyms bekannt und die Bioinformatiker planen nun, möglichst bald mit ihrem Hamburger Kooperationspartner Dr. Bernhard Ellinger vom Fraunhofer IME ScreeningPort (IME) bereits zugelassene Hemmstoffe auf ihre Wirksamkeit gegen das neue Coronavirus zu testen.

Mit einer Juniorprofessur des DZIF an der Uni Tübingen betreibt Dräger rechnerbasierte Systembiologie und ist mit seinem Team bereits im Januar 2020 in die Coronaforschung eingestiegen. Für ihren Ansatz entwickelten die Bioinformatiker ein integriertes Computermodell mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und menschlichen Alveolarmakrophagen. „Für diese Makrophagen existierte bereits ein komplexes Computermodell, das wir für diesen Zweck weiterentwickeln konnten“, so Dräger.

Die Ausgangssituation im Modell war, dass das Virus in den Wirt - hier die menschliche Alveolarmakrophage - eingedrungen ist und diese bereits umprogrammiert hat. „Biochemische Reaktionen, die das Virus im Wirt verwendet, sind also bereits in das Modell integriert“, so Dräger. Das Modell geht nun davon aus, dass das Virus neue Viruspartikel herstellen und sich ausbreiten will. Dazu nutzt es Materialien aus dem Wirt und zwingt die Wirtszellen zur Produktion neuer Virusbestandteile. „Wir haben zunächst die Zusammensetzung des Virus analysiert und daraus berechnet, welches Material benötigt wird, um ein Viruspartikel herzustellen“, beschreibt der Bioinformatiker das Vorgehen. Und er fügt hinzu: „Wenn man das weiß, kann man verschiedene Szenarien durchspielen und sehen, wie sich die biochemischen Reaktionen in den Wirtszellen während einer Virusinfektion verändern.“

In sog. Flussbilanzanalysen haben die Tübinger Wissenschaftler daraufhin systematisch getestet, welche biochemischen Reaktionen in infizierten Zellen anders ablaufen als in nicht-infizierten Zellen. Bei diesen Reaktionen konnten sie in ihren weiteren Versuchen ansetzen. Indem sie die ausgewählten Reaktionen gezielt ausschalteten, kamen sie den Prozessen auf die Spur, die für das SARS-CoV-2-Virus besonders wichtig sind. So die Guanylatkinase (GK1), die beim Ausschalten die Vermehrung des Virus komplett stoppte.

Quelle: Deutsches Zentrum für Infektionsforschung