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Beatmung mit reinem Sauerstoff - toxisch oder nicht?

Blutvergiftungen können einen septischen Schock verursachen, der eine Beatmung des Patienten erforderlich macht. Ulmer Forscher haben jetzt versucht nachzuweisen, dass eine Beatmung mit reinem Sauerstoff Vorteile haben kann. Das allerdings widerspricht den bisherigen Erfahrungen in der Beatmungsmedizin.

Schwere Infektionen können einen so genannten septischen Kreislaufschock auslösen – dabei kommt es zu einem starken Blutdruckabfall, der zu einer mangelnden Sauerstoffversorgung des Organismus führen und eine Beatmung des Patienten erforderlich machen kann. Durch eine Beatmung mit reinem Sauerstoff anstelle eines Luftgemisches ließe sich einerseits der Kreislauf schneller stabilisieren. Andererseits hat diese Form der Beatmung mit reinem Sauerstoff den Nachteil, dass sie oxidativen Stress verursacht, weil dabei viele freie Sauerstoff-Radikale entstehen, die zu Zell- und Organschäden und schließlich auch zu einer Hemmung der Zellatmung und sogar DNA-Schäden führen können.

Jetzt haben Ulmer Intensivmediziner um Prof. Peter Radermacher in einem zweijährigen Projekt versucht zu zeigen, dass eine frühzeitige Beatmung mit reinem Sauerstoff während der ersten 24 Stunden einer bakteriellen Blutvergiftung (Sepsis) keinerlei unerwünschte Nebenwirkungen durch eine erhöhte Radikalfreisetzung auslöst. Außerdem sei die Beatmung mit reinem Sauerstoff mit einer deutlich verbesserten Organfunktion, insbesondere von Herz und Nieren verbunden gewesen. Für diese Forschungsarbeit wurden die Ulmer Wissenschaftler im Juni auf der Jahrestagung der European Society of Anaesthesiology (ESA) in Mailand mit dem Draeger-Intensivpreis ausgezeichnet, der mit 10.000 Euro dotiert ist und die jeweils beste Publikation des vorausgegangenen Jahres im Bereich Intensivmedizin prämiert.

Nach Angaben der Forscher sei die bei der Beatmung mit reinem Sauerstoff zu beobachtende, deutlich verbesserte Organfunktion, insbesondere von Herz und Niere, wahrscheinlich auf die schon vor etwa 40 Jahren beschriebenen Antibiotika-ähnlichen Eigenschaften von reinem Sauerstoff zurückzuführen, die das Wachstum von Keimen einschränken. Die Beatmung mit reinem Sauerstoff habe außerdem den zellulären Energiestoffwechsel verbessert, so dass sich eine deutlich geringere Schädigung der Gewebestrukturen - vor allem der Lunge und der Leber - ereignete.

Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass sie in einer Folgestudie, die den Gutachtern bereits vorliegt, aber noch nicht veröffentlicht ist, die effektiven Eigenschaften der Beatmung mit reinem Sauerstoff auch dann unter Beweis stellen konnten, wenn sich der septische Schock bereits voll entwickelt hatte. „Das muss ich allerdings ernsthaft in Frage stellen“, kritisiert Prof. Dieter Köhler vom wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). „Denn zweifellos leidet die Lunge gravierend an der sauerstoffbedingten Radikallast, selbst wenn das im Blut nicht nachzuweisen sein sollte. Schließlich ist es definitiv belegbar und gilt als Standartmodell in der medizinischen Forschung, dass sich im Tierversuch mit einer 100%-igen Sauerstoffbeatmung ein akuter Lungenschaden induzieren lässt. Wobei dieser Schaden früher oder später in ein akutes Lungenversagen (ARDS) mündet – oft kommt es dazu schon nach nur zwei Tagen Beatmung mit reinem Sauerstoff“, warnt Köhler.