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Abstand und Masken sind gegen Corona nicht immer genug

Bisher stützte man sich auf jahrzehntealte Modelle, nun hat ein Fluiddynamik-Team die Ausbreitung winziger Tröpfchen neu analysiert: Masken und Abstand sind gut, aber offenbar nicht immer genug.

Maske tragen, Abstand halten, Menschenmassen meiden – das sind die gängigen Empfehlungen um die COVID-19-Epidemie einzudämmen. Allerdings sind die wissenschaftlichen Grundlagen, auf denen diese Empfehlungen basieren, Jahrzehnte alt und entsprechen nicht mehr dem aktuellen Stand des Wissens. Um das zu ändern, haben sich nun mehrere Forschungsgruppen aus dem Bereich der Fluiddynamik zusammengeschlossen und ein neues, verbessertes Modell der Ausbreitung infektiöser Tröpfchen entwickelt (siehe International Journal of Multiphase Flow 2020, Band 132, Seite: 103439). Dabei zeigt sich: Masken zu tragen und Abstände einzuhalten ist sinnvoll, man sollte sich dadurch aber nicht in falscher Sicherheit wiegen. Auch mit Maske können infektiöse Tröpfchen über mehrere Meter übertragen werden und länger in der Luft verweilen als bisher gedacht.

„Das bisher weltweit akzeptierte Bild der Ausbreitung von Tröpfchen stützt sich auf Messungen aus den 1930er und 1940er Jahren“, berichtet Prof. Alfredo Soldati vom Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung der TU Wien. „Damals waren die Messmethoden noch nicht so gut wie heute, wir vermuten, dass man besonders kleine Tröpfchen damals noch gar nicht zuverlässig messen konnte.“ Neben der TU Wien waren an der Entwicklung des neuen Fluiddynamik-Modells für infektiöse Tröpfchen außerdem die Universität von Florida, die Sorbonne in Paris, Clarkson University (USA) sowie das Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston beteiligt.

In bisherigen Modellen wurde streng zwischen großen und kleinen Tröpfchen unterschieden: Die großen werden von der Schwerkraft nach unten gezogen, die kleinen bewegen sich zwar fast geradlinig vorwärts, verdunsten aber sehr schnell. „Dieses Bild ist etwas zu einfach“, erklärt Alfredo Soldati. „Es war daher höchste Zeit, die Modelle an den neuesten Stand der Forschung anzupassen, um die Ausbreitung von COVID-19 besser zu verstehen.“

Aus strömungsmechanischer Sicht ist die Situation kompliziert – schließlich hat man es mit einer sogenannten Mehrphasenströmung zu tun: Die Partikel selbst sind flüssig, sie bewegen sich aber in einem Gas. Genau solche Mehrphasenphänomene sind Soldatis Spezialgebiet: „Kleine Tröpfchen hat man bisher als harmlos betrachtet, doch das ist eindeutig falsch“, erklärt Soldati. „Auch wenn das Wassertröpfchen verdunstet ist, bleibt ein Aerosol-Partikel zurück, der das Virus enthalten kann. So können sich Viren über Distanzen von mehreren Metern ausbreiten und lange Zeit in der Luft bleiben.“

Ein Partikel mit einem Durchmesser von 10 Mikrometern (was der durchschnittlichen Größe der ausgeworfenen Speicheltropfen entspricht) braucht in typischen Alltagssituationen fast 15 Minuten, bis es zu Boden gefallen ist. Man kann also auch dann in Kontakt mit Viren kommen, wenn man Abstandsregeln einhält – etwa in einem Lift, der kurz vorher von infizierten Personen benutzt wurde. Besonders problematisch sind Umgebungen mit hoher relativer Luftfeuchtigkeit, etwa schlecht gelüftete Besprechungsräume. Im Winter ist besondere Vorsicht geboten, weil dann die relative Luftfeuchtigkeit höher ist als im Sommer.

„Masken sind nützlich, weil sie große Tröpfchen aufhalten. Und Abstand halten ist ebenso sinnvoll. Doch unsere Ergebnisse zeigen, dass beides keinen garantierten Schutz bieten kann“, betont Soldati. Mit dem mathematischen Modell, das nun präsentiert wurde, und mit den laufenden Simulationen am Supercomputer Vienna Scientific Cluster (VSC), kann man die Konzentration Virus tragender Tröpfchen in unterschiedlichen Distanzen zu unterschiedlichen Zeiten berechnen. „Bei politischen Entscheidungen über Corona-Schutzmaßnahmen hat man bisher hauptsächlich Studien aus dem Bereich der Virologie und Epidemiologie herangezogen. Wir hoffen, dass in Zukunft auch die Erkenntnisse aus der Fluidmechanik miteinbezogen werden“, bekräftigt Alfredo Soldati.

Quelle: Technische Universität Wien