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Auch ein Antikörper-Mangel kann langfristig eine COPD provozieren

Jeder Dritte mit einem IgA-Mangel leidet von klein auf unter wiederkehrenden Atemwegsinfekten. Bleibt das Defizit unerkannt und werden die Infektionen zu selten antibiotisch behandelt, kann sich langfristig eine COPD entwickeln.

Ein 50 Jahre alter Patient stellte sich vor vielen Jahren im Asthma- und Allergiezentrum Leverkusen bei dem Kollegen Norbert Mülleneisen vor. Er klagte über Atemnot bei hoher Luftfeuchtigkeit und Wetterumschwüngen sowie Husten mit weißlichem Auswurf. Die Frage nach anfallsartigen oder nächtlichen Beschwerden verneinte er genauso wie die nach Thoraxschmerzen und Bluthusten. Der Mann berichtete, dass er als Elektroinstallateur hin und wieder löten musste, sonstigen Dämpfen, Stäuben oder Gasen aber nie ausgesetzt war. Als Kind litt er immer wieder unter Mittelohrentzündungen, die Rachenmandeln hatte man bei ihm entfernt. Atemnot kannte der Patient schon seit der Kindheit. Dank diverser „Heilverfahren“ hatte sie sich aber lange Zeit nicht verschlimmert. Die allergologische Anamnese war weitgehend leer. In der Familienanamnese fand sich eine chronische Bronchitis.

„Vom Typus her hatte ich einen beginnenden Pink Puffer vor mir“, berichtete Mülleneisen. Der schlanke Mann war in reduziertem Allgemeinzustand. Die klinische Untersuchung ergab leicht erhöhte Atemfrequenz, Brummen, grobblasige Rasselgeräusche, hypersonoren Kopfschall und tief stehende Lungengrenzen.

Die Lungenfunktionsprüfung offenbarte eine mittelschwere Atemwegsverengung mit nur geringer Wiederaufhebbarkeit (Teilreversibilität). Alles sprach für eine COPD mit Lungenemphysem. Geraucht hatte der Patient allerdings nur wenig, großzügig gerechnet kam er auf maximal drei Packungsjahre.

Die Nasennebenhöhlen waren im Röntgenbild frei, das Standardlabor sowie ein Prick-Test auf etwaige Allergien unauffällig. Die CT ergab ein kranial betontes, eher zentrilobuläreas Emphysem, Zeichen eines pulmonal arteriellen Hochdrucks, beidseitige Pleurakuppenschwielen, Hiluskalk rechts. Bronchoskopisch konnten eine chronische Bronchitis bestätigt werden, säurefeste Stäbchen fanden sich nicht. Histologisch ergab sich eine deutlich aktive, unspezifische Bronchitis mit Eosinophilie.

Kollege Mülleneisen behandelte den Patienten fünf Jahre lang unter der Diagnose COPD. Eine anhaltende Besserung blieb allerdings trotz Reha aus. Die Sekundenluft (FEV1) sank auf 24–37 % ab. Den entscheidenden Hinweis auf die tatsächliche Ursache der Symptomatik erhielt Mülleneisen am Rande eines Kongresses. Jemand erwähnte, dass Patienten mit Immundefekt über rezidivierende Infektionen eine COPD entwickeln können. Daraufhin bestimmte er bei seinem Patienten die Immunglobuline. Das Gesamt-IgA lag bei < 0,22 g/l - also ein IgA-Mangel!

Immunglobulin A (IgA) wird von den Schleimhäuten (Mukosa) im Bereich des Atem-, Verdauungs- und Urogenitaltrakts und der Augen sowie von speziellen Drüsen rund um die Brustwarzen von Müttern gebildet. Lokal schützt es vor Krankheitserregern. Fehlen eine oder beide Subklassen (IgA1 und IgA2), bleibt dies bei mehr als der Hälfte der Betroffenen folgenlos, da in den Schleimhäuten IgM die Aufgaben übernimmt. Etwa 30 % entwickeln wiederkehrende Infektionen, vor allem Nebenhöhlenentzündungen, Bronchitiden oder Lungenentzündungen. Auch Auto­immunerkrankungen, Allergien und Magen-Darm-Probleme sind mit einem IgA-Mangel assoziiert.

„IgA-Mangel ist der mit Abstand häufigste Immundefekt und wir übersehen ihn häufig“, warnte Mülleneisen. Er empfahl seinen ärztlichen Kolleg:innen: „Bestimmen Sie die IgA-Konzentration im Serum und zur Sicherheit auch im Speichel. Und das möglichst mehrfach.“ Bei einem selektiven Mangel ist der Antikörper nicht nachweisbar oder stark erniedrigt (< 0,3 g/l). Weitere Immundefekte können zusätzlich vorhanden sein und müssen ausgeschlossen werden.

Eine ursächliche Behandlung des IgA-Mangels gibt es nicht. Beschwerdefreie oder -arme Patienten benötigen in der Regel keine Therapie. Häufen sich jedoch die Infekte, sollte das Antibiotikarezept nach Aussage von Mülleneisen „lockerer sitzen“. Dies bedeute aber nicht, dass jeder sofort ein Antibiotikum brauche. „Aber Sie müssen eher dran denken.“

Keinesfalls sollte man zur Therapie intravenös Immunglobuline verabreichen, da diese schwere allergische Reaktionen hervorrufen können. Denn Intravenös gegebene Immunglobuline (IVIG) enthalten u.a. IgA. Diese provozieren bei Patienten mit IgA-Mangel eine heftige Abwehrreaktion, da der Körper IgA als fremd erachtet. Auch im Rahmen einer Bluttransfusion kann es zu allergischen Reaktionen kommen, weshalb Patienten einen Notfallausweis bei sich tragen sollten.

Zurück zum eingangs beschriebenen Patienten: Seitdem die Diagnose IgA-Mangel steht und er von Mülleneisen bei einer Infektion eher mal ein Antibiotikum verordnet bekommt, ist seine Lungenfunktion auf niedrigem Niveau stabil. Und mit seinen mittlerweile 73 Jahren fährt er immer noch Motorrad.

Quelle: Medical Tribune am 26.4.23 & Kongressbericht des 63. DGP-Kongresses