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Starkes Übergewicht bringt die Lunge in Bedrängnis

Ausgeprägte Fettleibigkeit (Adipositas mit einem BMI von 30-35) als Risikofaktor für respiratorische Komplikationen unterschätzen viele. Vor allem das Fettgewebe im Bauchbereich belastet die Lunge.

Bei starkem Übergewicht wird das Luftvolumen, das nach einer normalen Ruheausatmung noch zusätzlich ausgeatmet werden kann (sog. exspiratorische Reservevolumen), oft als erstes in Mitleidenschaft gezogen. Bei ausgeprägter Fettleibigkeit (Adipositas mit einem Body Maass Index = BMI von 30-35) droht im schlimmsten Fall eine respiratorische Insuffizienz. Erleichterung für die Lunge der Patienten bringt nur eine Gewichtsabnahme. Sie kann die Lungenparameter nachweislich deutlich verbessern und die schädlichen Effekte abwenden.

Für die Belastung der Lunge durch Adipositas ist das Verteilungsmuster des Körperfetts entscheidend: Beim abdominellen Typ kommt es im Vergleich zum gynäkoiden vermehrt zu respiratorischen Komplikationen. Das Fett behindert das Heben und Senken des Brustkorbs (Thoraxexkursionen) und der erhöhte Druck im Bauchraum bremst das Zwerchfell, erläutern Dr. Neeraj Shah und Dr. Georgios Kaltsakas vom Guy’s and St Thomas’ NHS Foundation Trust in London in einem aktuellen Review (siehe ERS publications, online seit 17.3.2023). Auch die Dehnbarkeit der Lunge nimmt ab.

Die Erkrankung wirkt sich primär auf das exspiratorische Reservevolumen aus, im Verlauf auch auf eine Reihe anderer Parameter, schreiben die Experten. Die totale Lungenkapazität (TLC) ist in der Regel nur bei extremen BMI-Werten von über 40 verringert. Daher solle man bei Adipösen mit verringerter TLC zunächst nach anderen Pathologien suchen.

Bei höherem BMI nimmt der Atemwiderstand zu. Vitalkapazität und Einsekundenkapazität sind meist beide leicht reduziert, wodurch ihr Verhältnis zueinander im Normbereich bleibt. Der maximale exspiratorische Fluss kann allerdings deutlich beeinträchtigt sein, was auf eine Verengung (Obstruktion) der kleinen Atemwege hindeutet und ein frühes Anzeichen der respiratorischen Beeinträchtigung darstellen kann. Insgesamt zeichnet sich in der Ganzkörperplethysmografie bei einem höheren BMI charakteristischerweise eine Erhöhung des Atemwiderstands ab.

Die Beziehung zwischen Adipositas und chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) ist komplex, die Studienlage zu den dahintersteckenden Mechanismen dünn, schreiben Dr. Shah und Dr. Kaltsakas. Unstrittig sei aber, dass COPD unter Adipösen weit verbreitet ist und dass die Prävalenz mit dem BMI steigt. Die Krankheitsschwere korreliert mit dem BMI allerdings nicht. Dass adipöse Patienten mit fortgeschrittener COPD hinsichtlich der Gesamtmortalität schlankeren Patienten gegenüber im Vorteil sind, ist hingegen nur auf den ersten Blick ein Paradoxon.

Das Adipositas-Paradoxon besagt im Zusammenhang mit COPD, dass bei Patienten mit fortgeschrittener Lungenerkrankung ein hoher BMI einen protektiven Effekt hinsichtlich der Gesamtmortalität hat. Verständlich wird der Zusammenhang, wenn man sich vor Augen führt, dass ein niedriger BMI bei COPD generell mit einer schlechten Prognose einhergeht. Und übrigens: Für Patienten mit milder COPD gilt das Paradoxon nicht. Auch für andere Krankheiten werden solche Adipositas-Paradoxa beobachtet. Bei respiratorischen Infekten beispielsweise scheint die Adipositas mit einer besseren Prognose einherzugehen. So sterben Patienten auf der Intensivstation seltener, wenn ihr BMI erhöht ist, als wenn er im Normalbereich liegt. Warum das so ist, bleibt allerdings unklar.

Konsequenzen ergeben sich bei Adipositas auch aus der erhöhten Anzahl Fettzellen. Diese führt zu einem proinflammatorischen Zustand im Organismus (u.a. durch die Ausschüttung von proinflammatorischen Zytokinen wie IL-6 und von Leptin). Die Atemwege werden empfindlicher, was z.B. ein Asthma bronchiale begünstigt. In Studien stieg die Schwere des Asthmas mit dem BMI an, das Therapieansprechen wurde schlechter, Verschlechterungen (Exazerbationen) häufiger, schreiben die Kollegen.

Die körperlichen Auswirkungen des massiven Übergewichts – größerer Atemwegswiderstand, verringerte Lungenelastizität, höherer Alveolardruck – können zu einer generellen respiratorischen Insuffizienz u.a. mit Mikroatelektasen führen. Patienten mit Adipositas müssen folglich mehr Atemarbeit leisten als schlanke Menschen. Ihr Körper kompensiert dies durch einen gesteigerten Atemantrieb, der oft mit dem Gefühl der Kurzatmigkeit einhergeht.

Kann die erhöhte Atemfrequenz das Sauerstoffdefizit nicht ausgleichen, droht eine hyperkapnische respiratorische Insuffizienz. Kommt es tagsüber zur Hyperkapnie und bestehen keine anderen Gründe für die erhöhten CO2-Werte, spricht man vom Obesitas-Hypoventilationssyndrom (OHS). Das OHS geht bei 90 % der Betroffenen mit einer OSA einher. Anfangs tragen die gelegentlichen Atemaussetzer im Zusammenspiel mit CO2-Produktion und erhöhtem Atemantrieb zur Hyperkapnie bei. Im weiteren Verlauf addieren sich die negativen Einflüsse und die nächtliche CO2-Retention wird zur Ganztageshyperkapnie.

Erleichterung für die Lunge der Patienten bringt nur eine Gewichtsabnahme. Sie kann die Lungenparameter nachweislich deutlich verbessern und die schädlichen Effekte abwenden. Das gelingt beispielsweise über eine kontrollierte Ernährung, bei Bedarf auch in Verbindung mit einem bariatrischen Eingriff. Letztendlich ist es wichtig, die Auswirkungen der Adipositas auf das Atemsystem im Blick zu haben, betonen die Autoren abschließend.

Quelle: Medical Tribune vom 14.5.23