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25.08.2023

Beatmung ist nicht gleich Beatmung – Unterscheidung aber wichtig für die Patientenverfügung!

Anstatt eine Beatmung pauschal abzulehnen, ist es dringend zu empfehlen, auch dieses Thema in der Patientenverfügung zu berücksichtigen und die diesbezüglichen Wünsche des Patienten entsprechend differenziert zu formulieren. Dazu raten Experten des Verbands Pneumologischer Kliniken (VPK).

In ihrer Patientenverfügung lehnen viele Menschen eine künstliche Beatmung im Notfall oder am Lebensende pauschal ab. Dabei stört sie vermutlich und verständlicherweise in erster Linie die Vorstellung, in künstliches Koma versetzt, dann intubiert (d.h. einen Tubus über den Mund in die Luftröhre oder eine Trachealkanüle direkt in die Luftröhre eingesetzt zu bekommen) und für mehrere Tage oder gar Wochen an eine Beatmungsmaschine angeschlossen zu werden. Was einen kompletten Bewusstseins- und Kontrollverlust bedeutet, da sie keine Möglichkeit haben zu kommunizieren, sozial zu interagieren und über ihr weiteres Schicksal mit zu entscheiden.

Allerdings gibt es noch eine andere, viel schonendere Beatmungsmethode, die außerdem auch noch mit größeren Überlebenschancen verbunden ist als die invasive Beatmung: Die sog. nicht-invasive Beatmung über eine zum Reden, Essen und Trinken absetzbare Mund-Nasen-Maske – also bei vollem Bewusstsein des Patienten und ohne jeden Kontrollverlust. „Den meisten Menschen ist dieser Unterschied zwischen einer invasiven und nicht-invasiven Beatmungsform gar nicht bekannt. Sinnvollerweise sollte für die Patientenverfügung eine ärztliche Beratung erfolgen, damit Patienten wohlinformierte Entscheidungen treffen können. Anstatt eine Beatmung pauschal abzulehnen, ist es dringend zu empfehlen, auch dieses Thema in der Patientenverfügung zu berücksichtigen und die diesbezüglichen Wünsche des Patienten entsprechend differenziert zu formulieren“, rät Dr. med. Thomas Voshaar, Vorstandsvorsitzender des Verbands Pneumologischer Kliniken (VPK) und Chefarzt des Lungenzentrums am Krankenhaus Bethanien in Moers.

Überlebenschancen durch nicht-invasive Beatmung größer

Der Vorteil eines nicht-invasiven Vorgehens ist letztens in der Corona-PandemiePandemie
Unter einer Pandemie versteht man eine sich weit verbreitende und dabei ganze Länder oder Kontinente erfassende Krankheit.
Vermischen sich beispielsweise die Erbinformationen von zwei verschiedenen Influenza-Viren in einem Zwischenwirt (z.B. Schwein), tritt ein neuer Virus-Typ mit noch unbekannten Eigenschaften auf. Dieser so genannte Subtyp kann sich schnell ausbreiten, da die Menschen gegen diesen Erreger weder über natürliche noch infolge einer Schutzimpfung aufgebaute Antikörper verfügen. Der jährliche Grippe-Impfschutz erfasst zwar neue Varianten des Influenza-Virus (d.h. leichteVeränderungen in der Oberflächenstruktur), aber keine komplett neuartigen Subtypen. Bricht eine Pandemie aus, muss daher schnell ein Impfstoff gegen den neuen Subtyp entwickelt werden und/oder ein antiviral wirksames Medikament flächendeckend eingesetzt werden.
bei CovidCovid
siehe "Was ist Covid?"
-Patienten sehr deutlich geworden: Jeder Zweite, der invasiv beatmet wurde, ist gestorben, während bei nicht-invasiver Beatmung nur jeder Zehnte starb. Nachweislich können Kliniken hierzulande, die ihre Covid-Patienten mit schwerer Verlaufsform einer Lungenentzündung nicht-invasiv behandelt haben, eine um das Fünffache geringere Sterblichkeit vorweisen. Das geht aus einer aktuellen Publikation hervor, an der auch Dr. Voshaar als Autor beteiligt war, (siehe Deutsche Medizinische Wochenzeitschrift, online seit 29.3.23). Während der Corona-Pandemie sind in Deutschland also wahrscheinlich mehrere Tausend Covid-Patienten unnötigerweise aufgrund einer invasiven Beatmung oder extrakorporalen Sauerstoffversorgung (ECMOECMO
Die Abkürzung ECMO steht für "Extrakorporale Membranoxygenierung" - einem Verfahren, bei dem die Aufgaben der Lunge außerhalb des Körpers von einer Maschine übernommen werden.
 
) auf der Intensivstation gestorben, während sie mit einer nicht-invasiven Beatmung auf der Normalstation eher überlebt hätten. „Deshalb sollte eine invasive Beatmung mit Intubation so lange wie und wo möglich vermieden werden, und das lässt sich mit relativ einfachen Verfahren wie Sauerstoffgabe (als high-Flow-Sauerstoff oder in Form eines kontinuierlichen Überdrucks per CPAP-Maske) und mittels einer nicht-invasiven Beatmung in den meisten Fällen gut bewerkstelligen“, erklärt Dr. Voshaar.

Erheblich weniger Nebenwirkungen und Folgeschäden als bei invasiver Beatmung

Da der für eine invasive Beatmung in die Luftröhre platzierte Schlauch (Tubus) für die Patienten bei wachem Bewusstsein nicht erträglich ist, müssen intubierte Patienten in eine Dauernarkose versetzt werden, die fast immer zu einem raschen und starken Blutdruckabfall führt, so dass mit blutdrucksteigernden Medikamenten gegengesteuert werden musss. Außerdem werden erhöhte Sauerstoffkonzentrationen zugeführt, um das Ziel der Beatmung, nämlich eine Sauerstoffsättigung meist über 90 Prozent, wie es die derzeitigen Leitlinien als Zielwert empfehlen, zu erreichen. Zu viel Sauerstoff wirkt sich allerdings toxisch auf Zellgewebe und die Organe aus. Das führt neben Lungenschäden auch zu Muskel- und Nervenerkrankungen. Die bei invasiver Beatmung erforderlichen hohen Beatmungsdrucke schädigen die Lunge zusätzlich, so dass außerdem ein akutes Lungenversagen (ARDS) droht. Bleibt die invasive Behandlung erfolglos, wird als nächste Eskalationsstufe dann oft die extrakorporale Sauerstoffversorgung (ECMO) eingesetzt. Hier drohen weitere Komplikationen. Die Sterblichkeit von COVID-Patienten an der ECMO betrug in Deutschland circa 80 %, auch in erfahrenen Kliniken. Demgegenüber ist die nicht-invasive Maskenbeatmung im Vergleich zur invasiven Beatmung mit deutlichen Vorteilen verbunden: Die Sprech-, Schluck-, und Hustenfunktion der Patienten bleibt über eine abnehmbare Mund-Nasen-Maske erhalten, daher treten Atemwegsinfekte erheblich seltener auf, die Patienten haben höhere Überlebenschancen und profitieren gleichzeitig von mehr Lebensqualität während ihres Klinikaufenthaltes. Zum Beispiel ist bei der nicht-invasiven Beatmung keine künstliche Ernährung erforderlich, da nach Absetzen der Maske normales Essen wie auch Husten und Sprechen möglich sind.

Keine langwierige Entwöhnung vom Beatmungsgerät erforderlich

Auch nach der Behandlung ist die Lebensqualität bei nicht-invasiv beatmeten Patienten weitaus größer, während invasiv beatmete Patienten oft erst einmal langwierig vom Beatmungsgerät entwöhnt werden müssen. Denn je länger die maschinelle Beatmung andauert, umso mehr hat sich die Atemmuskulatur der Betroffenen zurückgebildet, so dass sie anschließend beim sog. Weaning (Entwöhnung vom Beatmungsgerät) wieder mühevoll aufgebaut werden muss. Patienten, die eine invasive Beatmung überleben, müssen außerdem grundlegende Bewegungsvorgänge wie das Schlucken sowie alle Fähigkeiten für ein möglichst selbständiges Leben erst wieder von Null auf erlernen bzw. versuchen, sie sich soweit wie möglich wieder anzueignen, was auch erhebliche Folgekosten durch Reha, Arbeitsunfähigkeit und Pflegebedürftigkeit bedeutet.

Gesundheitssystem setzt falsche finanzielle Anreize

Fatalerweise setzt das Gesundheitssystem falsche finanzielle Anreize: Während die Kosten für eine nicht-invasive Beatmung im Schnitt bei 5000 Euro liegen, können für eine maschinelle Intensivbeatmung rund 39.000 Euro bis teilweise sogar 70.000 Euro abgerechnet werden. Auch müssten die medizinischen Leitlinien zur Beatmung dringend von den Fachgesellschaften korrigiert und aktualisiert werden. „Seit mehr als 20 Jahren hat sich auf Intensivstationen die Routine eingebürgert, sich bei der Entscheidung, Patienten zu beatmen, weitgehend daran zu orientieren, ob die Sauerstoffsättigung der Betroffenen abgefallen ist (sog. isolierte Hypoxämie), anstatt die Gesamtmenge der Sauerstoffteilchen im Blut zu berücksichtigen und dazu weitere Parameter wie die HämoglobinHämoglobin
Ein eisenhaltiges Transportprotein, an das 4 molekulare Sauerstoffteilchen (O2) binden können.
 
-Konzentration und die Herzleistung heranzuziehen. Grundsätzlich sollte man erst beatmen, wenn zusätzliche Komplikationen wie eine überlastete Atemmuskulatur mit Anreicherung von nicht abgeatmetem Kohlendioxid im Blut (Hyperkapnie) oder eine Herzinsuffizienz vorliegen, wobei auch hier in den meisten Fällen eine nicht-invasive Beatmung ausreichend ist und effektiv Leben retten kann“, betont Dr. Voshaar.

äin-red

Dies ist eine Pressemeldung des Verbands Pneumologischer Kliniken (VPK). Der Abdruck dieser Pressemeldung oder von Teilen des Artikels ist unter folgender Quellenangabe möglich: www.lungenaerzte-im-netz.de. Bei Veröffentlichung in Online-Medien ist diese Quellenangabe (in Form eines aktiven Links entweder auf die Startseite oder auf eine Unterseite der Webseite der Lungenärzte-im-Netz) erforderlich, bei Veröffentlichung in Printmedien ist ebenfalls ein Hinweis auf diese Webadresse notwendig.


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