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21.10.2020

Warum Männer häufiger schwer an Covid-19 erkranken

Im Gegensatz zu Frauen weisen Männer eine schwächere zelluläre Immunreaktion auf und gleichzeitig eine stärkere Tendenz zu einer überschießenden Immunreaktion (Zytokinsturm), die erhebliche Kollateralschäden zur Folge haben kann. Das berichten Forscher aus den USA.

© Juan Gaertner_Fotolia.com

Männer zeigen bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 vor allem im Alter eine schwächere zelluläre Immunreaktion als Frauen. Die Neigung zu einer überschießenden Immunreaktion (Zytokinsturm) mit erheblichen Kollateralschäden scheint einer Studie zufolge (siehe Nature, Online-Veröffentlichung am 26.8.2020) andererseits erhöht. Beides könnte erklären, warum COVIDCOVID
siehe "Was ist Covid?"
-19 bei Männern häufiger tödlich verläuft.

Weltweit treten etwa 60 % der Todesfälle an COVID-19 bei Männern auf. In einer Kohortenstudie aus England war das Sterberisiko von Männern um 59 % erhöht (siehe Nature, Online-Veröffentlichung am 8.7.2020). Dass ein männliches Geschlecht auch die Anfälligkeit für andere Infektionen erhöhen kann, ist bekannt. So erkranken Männer häufiger an Hepatitis A oder Tuberkulose. Bei einer Hepatitis C und bei HIV ist die Viruslast im Blut bei Männern höher. Hinzu kommt, dass Frauen besser auf Impfungen ansprechen.

Mediziner führen diesen Vorteil darauf zurück, dass das Immunsystem von Frauen im Fall einer Schwangerschaft auch das ungeborene Kind schützen muss (das auch in den ersten Monaten nach der Geburt noch von den transplazentaren Antikörpern und den Antikörpern in der Muttermilch profitiert). Der Nachteil ist die bei Frauen wesentlich höhere Rate von Autoimmunerkrankungen, die ihren Ursprung teilweise in einer Verwechselung der körpereigenen AntigeneAntigene
Antigene sind bestimmte Oberflächenstrukturmerkmale (chemische Moleküle), die für jeden Erreger und jede Substanz charakteristisch sind, vom körpereigenen Abwehrsystem (Immunsystem) als fremd („not self") erkannt werden und eine Abwehrreaktion (Immunreaktion) auslösen.
mit denen von Bakterien oder Viren haben sollen.

Die COVID-19-PandemiePandemie
Unter einer Pandemie versteht man eine sich weit verbreitende und dabei ganze Länder oder Kontinente erfassende Krankheit.
Vermischen sich beispielsweise die Erbinformationen von zwei verschiedenen Influenza-Viren in einem Zwischenwirt (z.B. Schwein), tritt ein neuer Virus-Typ mit noch unbekannten Eigenschaften auf. Dieser so genannte Subtyp kann sich schnell ausbreiten, da die Menschen gegen diesen Erreger weder über natürliche noch infolge einer Schutzimpfung aufgebaute Antikörper verfügen. Der jährliche Grippe-Impfschutz erfasst zwar neue Varianten des Influenza-Virus (d.h. leichteVeränderungen in der Oberflächenstruktur), aber keine komplett neuartigen Subtypen. Bricht eine Pandemie aus, muss daher schnell ein Impfstoff gegen den neuen Subtyp entwickelt werden und/oder ein antiviral wirksames Medikament flächendeckend eingesetzt werden.
bietet eine gute Gelegenheit, die geschlechtsspezifischen Unterschiede näher zu untersuchen. Noch niemals sind zu einer Infektionskrankheit innerhalb kurzer Zeit so viele Daten gesammelt und Bioproben archiviert worden.

Ein Team um Akiko Iwasaki von der Yale Universität in New Haven hat Patienten untersucht, die wegen einer relativ milden Erkrankung nicht mit Steroiden oder Tocilizumab behandelt wurden, die die Immunreaktion dämpfen oder den Zytokinsturm abschwächen könnten. Dabei achteten die Forscher darauf, dass sie nur Männer und Frauen verglichen, die in etwa die gleiche Virus-RNA-Menge in den Abstrichen hatten.

Das erste, was Iwasaki auffiel, war die unterschiedliche Konzentration der ZytokineZytokine
Das sind körpereigene Substanzen (Peptide), die vom Immunsystem (von aktivierten T-Zellen u.a.) freigesetzt werden, um die Bildung von Abwehrzellen und Entzündungszellen anzukurbeln. Zytokine tragen auch zur Reparatur von Gewebeschäden bei und wirken als Wachstumsfaktoren auf viele Zellen ein.
 
und Chemokine. Bei Männern waren schon bei der Erstuntersuchung die InterleukineInterleukine
Das sind Substanzen, die als Signalstoffe des Immunsystems wirken. Sie gehören zu den so genannten Zytokinen: Körpereigene Substanzen, die von aktivierten T-Zellen und anderen Zellen während der natürlichen und spezifischen Immunantwort freigesetzt werden.
 
 
8 und 18 höher als bei Frauen. Während des Krankheitsverlaufs kam dann noch ein stärkerer Anstieg von CCL5 hinzu.

Alle 3 Zytokine sind an der angeborenen ImmunabwehrImmunabwehr
Das körpereigene Abwehrsystem besteht aus drei Funktionskreisen:
(1) Knochenmark als Bildungsort für Immunzellen.
(2) Verschiedene zentrale Immunorgane wie Thymus (Prägung von T-Lymphozyten) und darmnahe Lymphorgane (für die Prägung von B-Lymphozyten).
(3) Sekundäre Lymphorgane wie Milz, Lymphknoten und Mandeln (Tonsillen).
Man unterscheidet die so genannte humorale Abwehr (über die Körperflüssigkeiten mit darin enthaltenen Antikörpern und Faktoren aus dem so genannten Komplementsystem) und die zellvermittelte Abwehr (mit B- und T-Zellen, Makrophagen, Antigen-präsentierenden Zellen, Granulozyten u.a.).
beteiligt. Das angepeilte Ziel wäre eine Entzündungsreaktion, die eine erste Barriere gegen Krankheitserreger aufbaut. Zu diesem System gehören auch die Monozyten, die als Fresszellen (MakrophagenMakrophagen
Fresszellen des Immunsystems, die in den Lungenbläschen (Alveolen) vielerlei Funktionen erfüllen, zum Beispiel die Reinigung der Lunge, indem sie sich Fremdpartikel (Erreger, Staub, Ruß etc.) einverleiben. Sie sind u.a. aber auch an Entzündungs- und Überempfindlichkeitsreaktionen beteiligt.
) im Gewebe die „Trümmer“ beseitigen. Bei den Männern kam es denn auch zu einem stärkeren Anstieg der „Non-classical“-Monozyten, eine von drei Subpopulationen der Monozyten.

Die Abwehr des angeborenen Immunsystems ist jedoch nicht besonders zielgerichtet. Bei einer zu starken Aktivierung besteht zudem die Gefahr eines Zytokinsturms, der erhebliche Kollateralschäden anrichten kann. Die von Iwasaki vorgestellten Daten deuten darauf hin, dass Männer hierfür anfälliger sind als Frauen.

Ein zweiter Unterschied besteht in der T-Zell-Antwort. T-ZellenT-Zellen
T-Lymphozyten oder T-Zellen kommen hauptsächlich in der Lymphflüssigkeit vor und reifen im Thymus (daher das T) heran. Sie sorgen (wie die B-Lymphozyten auch) für die Immunabwehr und sind sogenannte „immunkompetente Zellen", weil sie die Fähigkeit besitzen, diejenigen Fremdstoffe (bzw. deren Antigene), mit denen sie in Kontakt kommen, individuell zu erkennen und speziell zu bekämpfen.
können infizierte Zellen abtöten, was eine weitere Vervielfältigung (Replikation) der Viren verhindert. Es handelt sich damit um eine zielgerichtete Aktion, die weniger Begleitschäden verursacht.

Iwasaki fand heraus, dass bei den weiblichen Patienten schon bei der Erstuntersuchung eine robustere T-Zell-Reaktion nachweisbar war. Vor allem die Zahl der aktivierten CD8-T-Zellen war erhöht.

Weitere Beobachtungen ergaben, dass die schwächere T-Zell-Reaktion bei den männlichen Patienten mit einer klinischen Verschlechterung verbunden war. Dies war vor allem bei älteren Männern der Fall, während die Fähigkeit zur T-Zell-Reaktion bei den Frauen mit dem Alter kaum nachließ. Bei Frauen wiesen eher höhere Zytokinwerte auf einen schweren Verlauf von COVID-19 hin.

Die Ergebnisse lassen laut Iwasaki vermuten, dass Männer möglicherweise mehr als Frauen von Impfstoffen und von Therapien profitieren, die die T-Zell-Immunantwort verstärken. Frauen könnte dagegen der frühzeitige Einsatz von Medikamenten wie Tocilizumab nutzen, die die angeborene Immunaktivierung dämpfen. Es bleibt abzuwarten, ob klinische Studien diese Vorhersage der Immunologin bestätigen.

Quelle: © rme/aerzteblatt.de vom 27.8.2020